Linke Sommerschule 2015

Die linke Sommerschule Siegen findet vom 14. bis 17. September 2015 im VEB-Siegen statt.

Montag (14.9.):

17-18:30 Uhr: Work hard, play hard – Neue Formen der Arbeitsorganisation. Von und mit Daniel Göcht (Köln).

19-20:30 Uhr: Organize! Linke Intervention in gewerkschaftlichen Kämpfen. Von und mit Jon Heinemann (Köln).

Dienstag (15.9.):

17:15-18:45 Uhr: Mühsam aktualisiert oder: Was hat Erich uns zu sagen? Von und mit Kyrosch Alidusti (Siegen).

19:00-20:30 Uhr: „The Revolution will not be televised!“ Wie kommt wieder Bewegung in die Gesellschaft? Bevor wir wirksam werden, dürfen wir uns verschwören. Von und mit Peter Ley (Frankfurt am Main).

Mittwoch (16.9.):

17-18:30 Uhr: Krise, Austerität und die Linke. Ein Rückblick auf die diesjährigen Ereignisse in Griechenland. Von und mit Aristotelis Agridopoulos (Siegen).

19:00-20:30 Uhr: Griechische Selbstverwaltungsinitiativen in der Krise. Von und mit Robin Becker (Köln).

Donnerstag (17.9.):

16:45-18:00 Uhr: ´Newtopia´ oder langer Abschied von der Utopie? Von und mit Marvi Diek (Siegen)

18:15-19:30 Uhr: Erziehung – zwischen Anpassung und Widerstand. Von und mit Alexander Wohnig (Heidelberg).

19:45-21:00 Uhr: Sprachkritik und Moral. Von und mit Fabian Deus (Bonn).

Weitere Informationen zu den Workshops:

Work Hard Play Hard – Neue Formen der Arbeitsorganisation. Daniel Göcht (Köln)

Wir sind heute mit grundlegenden Veränderungen der Art wie wir unsere Lebensmittel produzieren konfrontiert – darüber herrscht weitgehend Einigkeit in politischen und sozialwissenschaftlichen Debatten. Wie diese Veränderungen genau aussehen ist allerdings umstritten. Dabei lohnt es sich, die Entwicklung in den Unternehmen selbst in den Blick zu nehmen. Die Beschäftigten müssen sich heute mehr und mehr selber mit dem Markt und den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit auseinandersetzen. Sie übernehmen gemeinsam – als Teams, Unternehmenseinheiten, Profitcenter – Unternehmerfunktionen und müssen sich den Unternehmensleitungen gegenüber für den von ihnen erbrachten Profit (oder Einsparungen) rechtfertigen. Die Unternehmen passen sich dabei an die gestiegene produktive Kraft der Beschäftigten an, indem sie statt direkt Anweisungen zu geben die Rahmenbedingungen (im Jargon der Management-Theoretiker „Umwelt“) einrichten und die Beschäftigten indirekt steuern. Dabei setzen sie auf unbewusst bleibende gruppendynamische Prozesse in den Teams. Die arbeitenden Menschen haben in ihrer Tätigkeit gelernt, sich mehr und mehr selbst zu organisieren und sich mit der gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Arbeit auseinanderzusetzen. Allerdings geschieht dies nicht bewusst und in kapitalistischen Unternehmen mit dem Profit als Kriterium. Das führt zu Phänomenen wie „Arbeiten ohne Ende“, psychischen Belastungen und enormen Problemen für die Entwicklung von Solidarität in den Unternehmen und die Wahrnehmung eigener Interessen. Es handelt sich aber auch, wenn auch in widersprüchlicher Form, um die Entwicklung wirklicher Fähigkeiten, d.h. um einen materiellen Lernprozess, den es bewusst anzueignen gilt. Diese bewusste Aneignung ist notwendig, um die eigene Stärke auch als solche wahrnehmen zu können.
In diesem Workshop sollen die wesentlichen Veränderungen der Arbeitsorganisation in den letzten Jahrzehnten und die Perspektive, die sich für die Linke daraus ergibt, dargestellt und diskutiert werden. Vorkenntnisse sind nicht notwendig; teilnehmen können alle, die gemeinsam mit anderen herausfinden wollen, was zu tun ist.
Daniel Göcht studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Siegen. Er war Rosa-Luxemburg-Stipendiat und promoviert an der Universität Duisburg-Essen zu Georg Lukács Ästhetik. Im Bereich der Erwachsenen- und gewerkschaftlichen Bildung hält er Vorträge in ganz Deutschland zur Frage der neuen Form(en) der Arbeitsorganisation. Er lebt in Köln und pflegt eine sehr feine Privat-Bibliothek, wenn er nicht gerade mit dem Rad unterwegs ist.
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Organize! Linke Intervention in gewerkschaftlichen Kämpfen. Jon Heinemann (Köln)

Seit einigen Jahren scheint es eine Veränderung im Verhältnis zwischen Gewerkschaften und radikal linker/undogmatischer/(post)autonomer Szene zu geben. Wurden Gewerkschaften früher als starre „reformistische“ Apparate angesehen mit denen die spontane Linke nicht viel anfangen konnte, sind heute betriebliche Kämpfe und tarifliche Konflikte für viele Gruppen Thema. Auch werden die Gewerkschaften zunehmend als Bündnispartner in lokalen Konflikten („Recht auf Stadt“ oder die Blockade des nächste Naziaufmarsch) gesehen und sie machen sogar mit. Wie verträgt sich diese neue Nähe an der Basis mit dem Wunsch der Gewerkschaften auch gleichzeitig „Krisenlöser“ und anerkannter Sozialpartner zu sein und was hat dies alles mit neuen gewerkschaftlichen Strategien zu tun?

Jon Heinemann hat in Siegen und Frankfurt Sozial- und Politikwissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren in verschiedenen linken Zusammenhängen aktiv. Nebenbei verdient er seine Brötchen aber als Gewerkschaftssekretär der IG BAU in Köln.
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Mühsam aktualisiert oder: Was hat Erich uns zu sagen? Kyrosch Alidusti (Siegen)

Die Linke befindet sich gerade an einem heiklen Punkt. Die Anti-Globalisierungsbewegung wurde zur EU-blockupy und die EU hat im Zuge der Griechenland-Troika Verhandlungen gezeigt, was ihr Parlamentswahlen und Referenden wert sind. Bleibt der Linken (wieder einmal) nur der Weg als Reparateur der bürgerlichen Demokratie und des Kapitalismus? Vorgestellt wird Erich Mühsams Blick auf die Linke der 1920er Jahre, seine Parteien-, Parlamentarismus- und Staatskritik und die Voraussetzung, die er für ein linkes (revolutionäres) Bündnis sah. Anschließend kann und soll diskutiert werden, ob diese Kritik und sein Ansatz heute fruchtbar ist und was die Linke heute noch will.

Kyrosch Alidusti ist Magister-Politologe und promovierter Germanist mit erstem Staatsexamen. Die beiden letzteren Abschlüsse legte er an der Universität Siegen ab. Seit 2008 hält er bundesweit, aber unregelmäßig, Vorträge zu den Themen „Bildungspolitik“, „CHE“ und „Kulturindustrie“. Zurzeit bietet er Vorträge an der VHS Siegen-Wittgenstein im Bereich Politik und Gesellschaft an und arbeitet in der Redaktion des Fanal-Projekts mit, das Erich Mühsams Zeitschrift neu herausgibt.

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„The Revolution will not be televised“ – Wie kommt wieder Bewegung in die Gesellschaft? Bevor wir wirksam werden, dürfen wir uns verschwören Peter Ley (Frankfurt am Main)

Sind progressive Massenbewegungen im 21.Jahrhundert noch möglich? Wie steht es um die Durchführbarkeit von Generalstreiks, um gesellschaftliches Unbehagen mit Freihandelsabkommen, Klimawandel oder sozialer Ungleichheit auszudrücken? Wie müssen wir eine progressive Bewegung neu denken, um Relevanz im gesellschaftlichen Diskurs zurückzugewinnen? Nach einem kurzen Rückblick auf einige relevante Bewegungen der letzten Jahre – Weltsozialforen, Arabischer Frühling, Solidarnocz, Occupy oder die 68er – und einer aktuellen Situationsanalyse, soll gemeinsam diskutiert werden, welche Voraussetzungen heutzutage für die Etablierung relevanter Massenbewegungen vorhanden sein müssen.

Peter Ley ist seit frühester Jugend linken Gruppen und Initiativen verbunden. Er studierte in Siegen, arbeitet als Entwicklungshelfer und lebt in Frankfurt am Main. Sein Beruf ließ ihn unter anderem in Nordafrika und Südamerika soziale und gesellschaftliche Bewegungen aus verschiedenen Perspektiven beobachten. Außerdem kocht er hervorragend.
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Krise, Austerität und die Linke. Ein Rückblick auf die diesjährigen Ereignisse in Griechenland. Aristotelis Agridopoulos (Siegen).

Griechenland befindet sich seit 2010 in einer ökonomischen, politischen und sozialen Krisenkonstellation. Der 25. Januar 2015 kann durch den Sieg der linksradikalen Koalition (SYRIZA) als eine entscheidende Zäsur für Griechenland und für die EU gelten. Eine noch vor paar Jahren linke Splitterpartei gelang es mithilfe zahlreicher sozialer Bewegungen binnen fünf Jahre zur stärksten Partei im griechischen Parteiensystem aufzusteigen. Dabei konnte sie sich innerhalb der Krisenjahre als stärkste Oppositionskraft gegen die „Troika-Regierungen“ der beiden großen Volksparteien Nea Dimokratia und der PASOK formieren. SYRIZA stellt damit die einzige Regierung in der EU, welche sowohl die gescheiterte Austeritätspolitik vehement verurteilt als auch eine sozialere EU und einen wirtschaftlichen Aufbauplan für die südliche EU-Peripherie fordert. Nach monatelangen Verhandlungen mit den europäischen und internationalen Gläubigern beugte sich jedoch der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am 13. Juli 2015 und unterschrieb ein drittes Memorandum, obwohl sich das griechische Volk am 05. Juli 2015 in einem Referendum mit 61,3% klar gegen ein neues Memorandum aussprach. Beobachten wir hiermit die Transformation SYRIZAs zu einer „normalen“ Partei, die nun selbst Austeritätspolitik durchführen wird bzw. muss? Der linke Flügel SYRIZAs hat sich infolgedessen am 21. August 2015, ein Tag nach dem Amtsrücktritt Tsipras‘, von SYRIZA abgespalten und wird nun selbst als Anti-Austeritätspartei namens „Laiki Enotita“ („Volkseinheit“) an den Neuwahlen (20. September 2015) antreten.
In diesem Vortrag und in der anschließenden Diskussion sollen sowohl die diesjährigen Ereignisse in Griechenland präsentiert und reflektiert als auch mögliche Prognosen skizziert werden.

Aristotelis Agridopoulos hat Sozialwissenschaften, Philosophie und Geschichte auf Lehramt Gymnasium (Erstes Staatsexamen) an der Universität Siegen studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand in der Politikwissenschaft am Lehrstuhl „Internationaler Vergleich und Politische Theorie“ an der Universität Siegen und promoviert zum Thema „Politischer Diskurs und Populismus im Griechenland der Krise“.

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Griechische Selbstverwaltungsinitiativen in der Krise. Robin Becker (Köln)

Die verheerenden Konsequenzen der Austeritätspolitik für die griechische Bevölkerung sind weitreichend bekannt. Aus der Not heraus wurden Fabriken, Sendeanstalten und Ländereien besetzt, solidarische Krankenhäuser und Nachbarschaftsräte gegründet, sind Volksküchen und neue soziale Einrichtungen entstanden. Viele dieser Initiativen versuchen ihr Möglichstes, über die Verwaltung ihres eigenen Elends hinaus eine menschenwürdige Alternative zum kapitalistischen Wirtschaften aufzuzeigen und stoßen dabei an ihre Grenzen.
Nach anschaulicher Darstellung einiger Beispiele sollen Perspektiven und Probleme solcher Selbstverwaltungsinitiativen diskutiert werden.

Robin Becker studierte Sozialwissenschaften und Philosophie in Siegen und Köln. Er ist seit vielen Jahren in verschiedenen politischen Zusammenhängen aktiv und begleitet aktuelle linke Debatten kritisch. Er arbeitet, wenn er nicht gerade Motorrad fährt oder wunderbares italienisches Essen kocht, in prekären Verhältnissen.
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´Newtopia´ oder langer Abschied von der Utopie? Marvi Diek (Siegen)

Jede Gesellschaftsform in jedem Zeitalter scheint Ideen von Utopien hervorgebracht zu haben. Sie waren zugleich Idee und Vision einer Veränderung, als auch konkreter Antrieb und Fortschritt. Auch oder gerade für progressive politischen Theorien scheinen sie stets der ideale Nährboden gewesen zu sein. Aber was ist heute aus den großen (linken) Utopien geworden? Gibt es überhaupt noch Utopien oder sind sie im Treibsand des Realen versunken? Der Workshop setzt sich mit der Idee der Utopie auseinander. Bezug wird sowohl auf gesellschaftliche und politische sowie alltägliche/konkrete Utopien genommen.

Marvi Diek ist seit vielen Jahren in verschiedenen regionalen und überregionalen linken Zusammenhängen aktiv. Sie hat Literatur-, Medienwissenschaften und Sozialpädagogik studiert und promoviert zur Geschichte der Kriminalliteratur an der Universität Siegen. Sie spielt gerne Klavier, fährt gerne Rad und kämpft aktiv gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

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Erziehung – zwischen Anpassung und Widerstand. Alexander Wohnig (Heidelberg)

Linke BildungsarbeiterInnen betonen in der Regel ihre Absicht, durch Bildungsprozesse (in der Schule, in außerschulischen Bildungseinrichtungen, in informellen Bildungslandschaften…) die Widerständigkeit der in den Bildungsprozess einbezogenen zu stärken bzw. anzuregen. Erziehung besitzt jedoch einen zweiten Moment, den der Anpassung. „Erziehung wäre ohnmächtig und ideologisch, wenn sie das Anpassungsziel ignorierte und die Menschen nicht darauf vorbereitete, in der Welt sich zurechtzufinden. Sie ist aber genauso fragwürdig, wenn sie dabei stehen bleibt und nichts anderes als well adjusted people produziert, wodurch sich der bestehende Zustand, und zwar gerade in seinem Schlechten, erst recht durchsetzt. Insofern liegt im Begriff der Erziehung zu Bewusstsein und Rationalität von vorneherein eine Doppelschlächtigkeit. Vielleicht ist sie im Bestehenden nicht zu bewältigen; jedenfalls dürfen wir ihr nicht ausweichen“ (Theodor W. Adorno). Vor allem Konzepte einer „kritischen politischen Bildung“ behandeln diese „Doppelschlächtigkeit“ der Erziehung und versuchen den Moment des Widerstandes gegenüber den herrschenden (sozialen, gesellschaftlichen, politischen) Verhältnissen, der aktuell mehr denn je verloren zu gehen scheint, zu stärken. Die Möglichkeiten und Grenzen solcher Ansätze sollen im Workshop diskutiert werden.

Alexander Wohnig hat an der Universität Frankfurt Politikwissenschaft und Geschichte studiert und dort seine politische Sozialisation erfahren. Er promoviert zurzeit zu sozialem Engagement und politischer Bildung im schulischen Kontext und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Projekt an der Universität Heidelberg. In seiner Freizeit hört er Lil Wayne und spielt gerne Fußball.
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Sprachkritik und Moral. Fabian Deus (Bonn)

Linke Sprachkritik begreift den herrschenden Sprachgebrauch als von Macht und Gewalt durchzogen. Diesem hegemonialen Sprachgebrauch wird der Versuch einer diskriminierungsfreien Sprache entgegen gestellt, der sich z.B. auf die Tabuisierung von als diskriminierend verstandenen Ausdrücken stützt oder besonders die soziale Identität der Sprecher reflektieren möchte. Von welchen politischen Voraussetzungen und welchem Verständnis von Sprache diese Kritik ausgeht und welche Konsequenzen dies hat, soll im Workshop exemplarisch diskutiert werden.

Fabian Deus hat an der Universität Siegen Sprach- und Literaturwissenschaften sowie Philosophie studiert. Er promoviert zu begriffsgeschichtlichen Aspekten des Fortschritts und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen. Er begleitet seit vielen Jahren, im akademischen und außerakademischen Rahmen, die linke Bewegung und lebt in Bonn, wenn er nicht gerade in Belgien Bier trinkt oder in den italienischen Bergen einsiedelt.